Aufgaben – Grundlagen der Ethnologie, Einleitung

‚Kultur‘ ist ein Grundbegriff der Ethnologie. Anders als in der westlichen Alltagssprache umfasst der ethnologische Kulturbegriff nicht allein die Hochkultur (etwa Konzerte oder Theater), sondern alle Dinge, mit denen Menschen einen Sinn verbinden – vom Hausbau bis zum religiösen Ritual, von Musikinstrumenten bis zum Freizeitpark.

Bis in die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts hinein hat die Ethnologie versucht, ‚die Kultur‘ bestimmter Menschengruppen zu beschreiben – etwa die der Iroqouis, der Yanomami oder der Yoruba. In dicken Büchern stellten Ethnologinnen und Ethnologen ‚die Kultur‘ einzelner ethnischer Gruppen dar. Kultur wurde damit vor allem Gruppen zugeordnet, die an einem bestimmten Ort lebten. Der Begriff konnte dazu benutzt werden, Gruppen zu definieren und von einander abzugrenzen. Heute ist die Ethnologie von einer solch statischen Betrachtung abgekommen.

Jeder Mensch versucht, seiner Welt und den Beziehungen zu seinen Mitmenschen einen Sinn zu geben. Er greift dabei auf Wissen zurück, das er von seinen Eltern, von Freunden und Verwandten und eben allgemein von der Gesellschaft, in der er lebt, übernommen hat. Deshalb ähneln sich die Interpretationen von Menschen, die eng zusammenleben, oft. Trotzdem kann man nicht davon ausgehen, dass Kulturen Einheiten oder abgeschlossene Systeme darstellen. Was Kultur ist, wird stets diskutiert, verhandelt und im alltäglichen Handeln neu geschaffen. Gerade heute sind die Bezüge dabei häufig global – westliche Popmusik, Baseballkappen und Universitätsabschlüsse gehören genauso zur Kultur von Indianern im Amazonastiefland wie Kanus und Blasrohre mit vergifteten Pfeilen.

Dennoch ist ‚Kultur‘ im Alltag und in der Öffentlichkeit weiterhin ein starkes Bezugsmuster. Sie wird zur Erklärung für jegliche Missverständnisse, zum politischen Kampfbegriff und zu einem wichtigen Element der Suche nach Identität. Die einen reden vom ‚Kampf der Kulturen‘, um komplexe Konflikte auf einfache Ursachen zurückführen zu können; andere suchen in der Vergangenheit nach ihren eigenen kulturellen Wurzeln oder betonen die Ursprünglichkeit ihrer Kultur, um politische Forderungen geltend zu machen. Solche Umgangsweisen mit dem Begriff der Kultur sind auch ein Untersuchungsgegenstand der Ethnologie, aber die Ethnologie selbst will weder bedrohte Kulturen retten noch an der Konstruktion von kultureller Fremdheit mitwirken. Im Gegenteil: es ist eine ihrer politischen Aufgaben, einfachen Einordnungen fremder Menschen anhand ‚ihrer Kultur‘ entgegen zu arbeiten.

Quelle: Institut für Ethnologie, Universität Freiburg.