Aufgaben Überlieferungsgeschichte und Paläographie – Einleitung

Unter der Überlieferungsgeschichte eines Textes versteht man den Weg, den ein Text vom Ort und Zeitpunkt seiner Entstehung bis zum jeweiligen Rezipienten zurückgelegt hat. Am Anfang steht der Originaltext des Autors, am Ende z.B. eine wissenschaftliche Ausgabe, mit der man sich im Studium beschäftigt. Dieses „Original“ besitzen wir von keinem einzigen Werk der antiken griechischen und lateinischen Literatur. D.h. unser Text in der wissenschaftlichen Ausgabe geht zurück auf zahlreichen Handschriften (in der Regel aus dem Mittelalter) und andere Quellen, die den Weg durch die Jahrhunderte „überlebt“ haben. Auf diesem Weg aber waren die Texte vielen Gefahren ausgesetzt: Sie wurden beschädigt, wurden falsch abgeschrieben, bewusst umgeschrieben und vermeintlich korrigiert oder gingen sogar ganz verloren.

Die wissenschaftliche Ausgabe von heute ist der Versuch, dem Originaltext eines antiken Autors möglichst nah zu kommen. Dazu benötigt man verschiedene Methoden, unter anderem die Paläographie.

Als Paläographie bezeichnet man die Lehre von der Geschichte der handgeschriebenen und in Inschriften überlieferten Schrift. Das Lesen von Handschriften bietet den nächstmöglichen Zugang zu unseren Texten. Die Lektüre von Handschriften ist schwieriger als das bequeme Lesen in gedruckten Editionen, hat aber auch seinen eigenen Reiz, wenn z.B. die ‚Entzifferung‘ von Abkürzungen oder ungewöhnlichen Buchstabenformen gelingt. Denn in den Handschriften sind den Buchstaben teilweise schwer zu entziffern, es wimmelt von Abkürzungen, und Wortgrenzen sind auch nicht immer leicht zu erkennen.

Papyrus in griechischer Sprache zu Steuerfragen (ca. 3. Jh. v. Chr.)

Hintergrundinformationen zur Handschriftenherstellung

Es gibt verschiedene Beschreibstoffe (Papyrus, Pergament, Papier) und Tinten. Ursprünglich wurden Bücher auf Papyrus geschrieben und in Form von Schriftrollen verfasst, später entwickelte sich der Kodex, also ungefähr die Form unseres Buchs, in dem man blättern kann. Zentren der Handschriftenherstellung im Mittelalter waren die Skriptorien der Klöster. Der Hauptbeschreibstoff, das Pergament, wurde aus Tierhäuten gewonnen. Besonders im Norden Europas war das Pergament unter den gegebenen klimatischen Verhältnissen deutlich haltbarer als Papyrus, weswegen es sich durchsetzte. Papier löste Pergament ab, da es mit wesentlich geringeren Herstellungskosten verbunden war.

Bei Papyrus handelt es sich um einen Schriftträger auf pflanzlicher Basis, der aus den Stängeln der Papyrusstaude gefertigt wurde. Zu diesem Zweck wurden aus den Papyrusstängeln geschnittene Streifen nebeneinandergelegt, um in einem zweiten Schritt eine weitere Schicht im rechten Winkel darauf zu platzieren. Der beim Pressen austretende Saft verband die Schichten miteinander. Das fertige Produkt wurde als Charta bezeichnet, wobei die Vorderseite Recto, die Rückseite Verso hieß. Durch das Aneinanderkleben einzelner Blätter entstanden Rollen, die entweder parallel zur Langseite in Kolumnen oder parallel zur Kurzseite beschrieben werden konnten, was im Mittelalter eher der Fall war. Letztere Variante wird als Rotulus oder Charta transversa bezeichnet. Zum Schutz des Textes wurden am Beginn und Ende der Rolle unbeschriebene Schutzblätter eingefügt (Protokoll und Eschatokoll).

Die Vorteile des Papyrus lagen in seiner vergleichsweise zeitökonomischen Herstellung sowie in einer netzartigen Struktur, die das Beschreiben durchaus erleichtern konnte, indem man sich nach dem Verlauf der Fasern richtete. Nachteile gegenüber dem Pergament bestanden sicher in der Brüchigkeit des Stoffes wie auch in den langen Transportwegen nach Nordeuropa.

Pergament (benannt nach Pergamon) löste Papyrus als Beschreibstoff in einem langen Prozess ab, der bereits im 2. Jh. n. Chr. begann, primärer Schreibstoff war es vom 8. bis 15. nachchristlichen Jahrhundert. Zur Herstellung wurden Tierhäute in eine Kalklauge gelegt, woraufhin das Fell und das Fleisch abgeschabt werden konnten. Anschließend wurde die Haut in einen Rahmen gespannt, weiter abgeschabt und getrocknet. Ggf. wurde sie daraufhin mit Bimsstein aufgeraut oder mit Kreide geweißt. Da Pergament für Urkunden nur einseitig beschrieben wurde, musste es nicht so stark behandelt werden wie Buchseiten. Letztere konnten zu Codices zusammengebunden werden.

Der teuren und zeitaufwändigen Herstellung standen als Vorteile die Widerstandsfähigkeit des Pergaments, die Geschmeidigkeit der Oberfläche, die in alle Richtung gut beschreib- und bemalbar war, und die Verfügbarkeit des Rohstoffes Tier gegenüber.

Ab dem Hohen Mittelalter dominierte Papier als Beschreibstoff, wobei Italien die Vorreiterrolle in der Nutzung übernahm. Zur Herstellung von Papier wurden in sogenannten Papiermühlen Lumpen eingeweicht, in kleine Teile zerstampft und zusammen mit Wasser in die Bütte gefüllt. Mit einer Schöpfform hob man den Brei anschließend heraus und ließ ihn auf Filz trocknen. Populär wurde das Hinzufügen eines Wasserzeichens, das durch einen Draht in der Schöpfform erzeugt werden konnte. Der aufwändige Herstellungsprozess bedingte eine Produktion in großer Stückzahl.

Der große Vorteil des Papiers gegenüber Pergament lag in der Möglichkeit einer Massenproduktion, die den Beschreibstoff wesentlich günstiger werden ließ.